Cervantes und Shakespeare: Umflossen vom Äther der Poesie.
Dichtung. Die Begründer der modernen europäischen Literatur, Cervantes und Shakespeare, sind Zeitgenossen und vor 400 Jahren exakt im selben Jahr (1616) verstorben.

Die Skulptur von Miguel de Cervantes in Madrid
Foto: Carlos Delgado
Die Werke von Shakespeare und Cervantes gehören zum allerobersten Rang der Weltliteratur. Sie sind nicht nur überaus poetisch, sondern auch Zeugnisse einer bewegten Geschichtsepoche. Sie entstanden meist im Zusammenhang mit starken Auseinandersetzungen und Wandlungen innerhalb des sozialpolitischen Geschehens. Sie sind Biographien ihrer Zeitalter.
Das Spanien des Miguel de Cervantes befand sich in einer turbulenten Zeit weltgeschichtlichen Ausmaßes. Das Reich von Karl V. und Philipp II. war ein Brennpunkt der europäischen Entwicklung. Eine politische Großmacht, in der sich die Gegensätze der mittelalterlichen Epoche und der Neuzeit der Renaissance, des Humanismus, mit besonderer Intensität auswirkten. Spanien hatte sich einen großen Teil der Welt unterworfen und ein Kolonialreich bis nach Jamaika, Mexiko und Peru hin geschaffen. Die Zeit der großen Weltreisenden war gekommen. Dann kam das konfessionelle Zeitalter. Die Wirkungen Luthers und der Reformation breitete sich aus. Die Glaubenseinheit des Mittelalters wurde gespalten. Luther propagierte die Freiheit des Christenmenschen. Die Zeit der Wende brachte alles in Unruhe, löste aber auch viele gewaltige Energien aus, auch in dichterischer Hinsicht, deshalb sei daran erinnert, dass Cervantes und Shakespeare Zeitgenossen waren und im gleichen Jahr – 1616 – gestorben sind. Beide also vor 400 Jahren.
Cervantes verstarb zehn Tage vor Shakespeare
Zehn Tage vor Shakespeare starb der 69-jährige Miguel de Cervantes am 23. April in Madrid. Der Spanier und der Engländer, Angehörige zweier damals aufs Allerinnigste verfeindeter Nationen, thronen 400 Jahre später friedlich beieinander auf dem Autoren-Olymp, als Gründerväter der europäischen Literatur.
Ihre Dichtungen sind durchdrungen und umflossen vom Äther der Poesie. (Heinrich Heine). Beide Dichter sind nicht bloß die Blüte ihrer Zeit, sondern sie waren auch die Wurzel der Zukunft. Wie Shakespeare durch den Einfluss seiner Werke als Stifter der dramatischen Kunst zu betrachten ist, so müssen wir Cervantes als Stifter des modernen Romans ansehen. Mit seinem Don Quijote, einer 1.200-seitigen Satire auf den alten Ritterroman, beweist er nicht nur, dass er ein großer Psychologe aus der Fülle seiner bewegten Lebenserfahrung heraus war – mit ungemein tiefgründiger Weisheit –, sondern er begründet damit auch den modernen Roman.

Shakespeare-Denkmal im Park an der Ilm in Waimar Foto:Michak
Don Quijote. Der Kerl ist ein Narr
Don Quijote, der Ritter von trauriger Gestalt, seine possenhafte Kontrastfigur Sancho Pansa sowie der dürre Gaul Rosinante sind legendär. Sprichwörtlich geworden ist sein Kampf gegen die Windmühlen. Jetzt, pünktlich zum Cervantes-Jubiläum, kann man den Roman als Hörbuch erleben. Aus den Archiven des NDR stammt eine 1984 von Hans Paetsch gelesene, auf 15 Stunden gekürzte Fassung, die auf der klassischen Übersetzung von Ludwig Tieck basiert. Hans Paetsch war jahrzehntelang Ensemblemitglied des Hamburger Thalia Theaters und er gehört zu den prominenten Vorlesern der Nation. Er verstarb 2002 im Alter von 92 Jahren in Hamburg. 1995 schrieb die Süddeutsche Zeitung über ihn: „Wenn der liebe Gott einen Pressesprecher hätte, würde der klingen wie Hans Paetsch. Ganz genau so. Weise, vertraut und irgendwie immer richtig.“
von robert voglhuber