Ein Ort zum Wohlfühlen?

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[von michie könig]
Corona-Maßnahmen an Schulen. Bieten Bildungseinrichtungen Kindern noch ein angemessenes Lernumfeld?
Wir hören und lesen es seit Beginn der sogenannten Pandemie immer wieder: Schulen spielen für die Ausbreitung des viel diskutierten Virus praktisch keine Rolle. Darüber hinaus veröffentlichte die WHO Ende August diesen Jahres ein Dokument, aus dem hervorgeht, dass im Zusammenhang mit dem Maskentragen in mehreren Studien bei Kindern über Faktoren wie Hitzegefühl, Irritation, Schwierigkeiten beim Atmen, Unwohlsein oder Ablenkung berichtet wurde. In diesem Dokument wird seitens der WHO empfohlen, die Vorteile des Maskentragens bei Kindern sehr genau gegen potenziellen Schaden abzuwägen. Auch soziale und kommunikative Belange seien in dieser Rechnung zu berücksichtigen. Für die Ausarbeitung der nationalen Regeln und Maßnahmen empfiehlt die WHO, auf jeden Fall die Gesundheit und das Wohlergehen der Minderjährigen in den Vordergrund zu stellen und weder die Entwicklung der Kinder noch ihre Lernfortschritte negativ mit Maßnahmen zu beeinflussen. Im Zusammenhang mit der Gesundheit wird auch explizit auf das psychische Wohlbefinden der Kinder hingewiesen.
Gerade die seelischen Folgen aller Begebenheiten rund um das Virus werden viel zu wenig beachtet; ihrer Tragweite sollten sich die Verantwortlichen jedoch bereits jetzt sehr bewusst sein. Auch für jüngere Kinder, die selbst keine Maske tragen müssen, fällt es entwicklungspsychologisch sehr ins Gewicht, ob sie die Gesichter anderer lesen lernen dürfen oder nicht. Die Maske verdeckt einen signifikanten Teil der Mimik eines Menschen und macht diese Person für andere zum völligen Geheimnis. Darüber hinaus unterbindet das bedeckte Gesicht die nonverbale Kontaktaufnahme und auch die alltägliche Freundlichkeit, die Menschen einander seit jeher mit einem Lächeln schenken konnten. Rückzug und Introversion sind die natürlichen Folgen.
Ganz unabhängig von der spezifischen Situation, die sich an Schulen ergibt, kommt Ines Kappstein in ihrer sehr umfassenden Evaluierung der Maskenpflicht zu dem Schluss, dass die Empfehlung des RKI zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung im öffentlichen Raum auf keinen nachvollziehbaren Fakten basiert. Die Autorin hält fest, dass entgegen der wissenschaftlich etablierten Standards von evidenzbasierter Medizin eine Einschätzung zum Tragen von Masken im öffentlichen Raum lediglich auf sogenannten „plausiblen Überlegungen“ beruht, was jedoch nicht ausreichen könne, um der Politik eine für den Einsatz bei Millionen von Menschen wissenschaftliche fundierte Entscheidungsbasis zu vermitteln. In ihrer Schlussfolgerung formuliert sie, dass das Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen nicht nur wissenschaftlicher Grundlagen entbehre, sondern sogar potenziell kontraproduktiv sei.
Aus einer Stellungnahme über die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen an Schulen, die vom Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie der Universität Regensburg ausgearbeitet wurde, geht außerdem hervor, dass die „Verhältnismäßigkeit der an den Schulen ergriffenen Maßnahmen […] als fragwürdig einzustufen“ sei, zumal eben „dort praktisch keinerlei relevantes Infektionsgeschehen zu beobachten“ sei.
Meinungen aus der Region
Nicht nur medizinischen und anderen Fachleuten soll im Zusammenhang mit den Maßnahmen rund um Covid-19 Gehör und Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dieses Mal widmen wir uns besonders den Kindern. Formbare, weitestgehend hilflose, wissensdurstige, lachende, tobende, lebensfrohe kleine Wesen sind sie in unseren Köpfen. Doch entspricht das auch im Schul- und Kindergartenalltag noch der Realität?
Nach zahlreichen Gesprächen steht fest: für Eltern bedeutet nicht nur die Maskenpflicht eine Sorge mehr um ihren Nachwuchs. Die meisten Kinder versuchen, bloß nicht aus der Reihe zu tanzen oder negativ aufzufallen. Man sieht sie sogar auf den Gehsteigen an der frischen Luft mit ihrer Mund-Nasen-Bedeckung. Zu Hause lassen sie die Maske dann aber fallen, nicht nur die aus Stoff, sondern auch die des Angepasstseins. So auch die drei Kinder einer Mutter aus dem Bezirk Amstetten, die es wie viele andere Gesprächspartnerinnen und Gesprächspartner bevorzugt, anonym zu bleiben, um beruflich keine Probleme zu bekommen. „David* bekommt sowieso kaum Luft, weil er eine Allergie hat“, erzählt die junge Mostviertlerin. „Tanja* bereitet die Maske Kopfschmerzen und Lukas* ist gerade einmal sechs. Er beschwert sich sehr, damit nicht richtig atmen zu können.“ Die Mutter belastet es besonders, dass ihre Kinder in der Frühaufsicht eine Dreiviertelstunde mit der Maske in der Garderobe verbringen müssen. Dass sie die kürzlich angeschafften Faceschilder bald nicht mehr tragen dürfen, stellt die Mutter vor ein großes Problem.
Sabine B. ist selbst von der Maskenpflicht befreit, da sie davon Panikattacken bekam. Sie ließ ihre drei Kinder ebenfalls per Attest befreien: Ihre älteste Tochter Tabea leidet an Asthma, Joshua hatte so starke Kopfschmerzen davon, dass er sich sogar über eingeschränkte Sehfähigkeit beklagte, und Rahel litt an Alpträumen und Atembeschwerden im Zusammenhang mit dem Tragen der Mund-Nasen-Bedeckung. Seitens der Bildungseinrichtung reagierte man damit, die Mutter darauf hinzuweisen, dass es in ihrer Verantwortung läge, sollten ihre Kinder nun gemobbt werden, weil sie keine Maske tragen.
Auch die Sprösslinge von Sandra D. leiden sehr unter der Wirkung, die sie selbst und andere auf sie haben, wenn die Hälfte des Gesichts bedeckt ist. Sandras Schulkind erzählt, dass Erwachsene auf den Gängen der Schule nicht immer konsequent die Maske tragen, wodurch die strikte Pflicht für Kinder natürlich noch um ein Vielfaches belastender wird, als sie es ohnehin schon ist. Sandra findet darüber hinaus, dass durch die intensive Distanzierung das Zwischenmenschliche weniger bedeutend zu werden scheint. „Kinder werden beim Trösten weniger angefasst. Das finde ich schrecklich.“ Auch das Singen mit Maske ist für die Mädchen und Buben eine Zumutung: „Ich bekomme noch weniger Luft als so schon, und es fühlt sich an, als ob das Gesungene sowieso in der Maske bleibt“, erzählt ihr Sohn traurig. Auch beim erzwungenen Abstandhalten fühlen sich die Kinder unglaublich unwohl. Bei manchen geht die Aversion gegen die Maßnahmen so tief, dass sie den Schulbesuch verweigern.
Gabriele Stradner hat sich im Laufe ihres Studiums eingehend mit der Entwicklungs- und Gesundheitspsychologie beschäftigt. Als Mutter von drei Kindern zwischen 3 und 13 Jahren sieht sie die derzeitigen Entwicklungen problematisch. Selbst wenn Kinder wie ihre jüngste Tochter im Kindergarten keine Masken tragen müssen, wird ihnen dort von den Erwachsenen vermittelt, dass dies völlig normal sei. Gerade in einer entwicklungspsychologisch so sensiblen Phase ist es zudem nicht unwesentlich, dass Kinder ihren Bezugspersonen ins Gesicht sehen können, um sich sicher zu fühlen. Ihre beiden älteren Kinder gehen in die Volks- und Mittelschule, wo die Maske im Schulgebäude überall außerhalb der Klasse getragen werden muss. Sie hat mit ihren Kindern offen über das Tragen der Maske gesprochen und merkt eine starke Gruppendynamik zum Maskentragen. Unter den Kindern entsteht psychologischer Druck: Sie wollen nicht aus dem Rahmen fallen oder als ungehorsam gelten.
All diese Maßnahmen ziehen nicht ohne Folgen an den Kindern vorüber. Ein Kind sagt vielleicht nichts, wenn es keine Wärme oder Nähe bekommt, trotzdem wirkt es sich negativ auf die Entwicklung aus. Das Kernproblem sieht Gabriele in den großen Massen an Menschen, welche diese Maßnahmen nicht hinterfragen, evaluieren oder abwägen.
Zwei weitere Mütter er-zählen, dass ihre Kinder bereits eine Art Waschzwang entwickelt haben und zur Seife laufen, sobald neben ihnen jemand geniest hat. Durch die Maske verursachte Hautausschläge im Mundbereich sind weitere deutlich sichtbare negative Erscheinungen, die von den Eltern angesprochen werden. Gerade nun, wo die Temperaturen sinken und ohnehin Jahr für Jahr jede und jeder mit Schnupfen und Erkältung zu tun hat, müssen Bildungsbeauftragte zur Corona-Prävention auch alle 20 Minuten die Klassenzimmer lüften. In manchen Schulen sitzen Schülerinnen und Schüler mit Hauben, Jacken und Decken in den Räumen.
Traurige Erinnerungen
Claudia R. erzählt von der Erstkommunion ihres Sohnes. Die hier anzuwendenden Covid-19-Bestimmungen scheinen sich von Pfarre zu Pfarre zu unterscheiden, denn nicht überall wurden dieselben Regeln festgelegt. In ihrem Fall war auch während der Messe ein Faceschild zu tragen. Eine geschlagene Stunde lang. Vom Sitzplatz der Eltern aus sah alles recht unproblematisch aus. Doch als die Mutter dann die professionellen Bilder erhielt, fuhr es wie ein Blitz durch ihren Körper. Erst dann erkannte sie, dass das Kondenswasser in den Schildern stand und merkte, wie unangenehm das für die Kinder gewesen sein musste. Als brave, gehorsame kleine Bürgerinnen und Bürger haben sie sich darüber nicht beschwert. Nur im Zuge der Kommunion hatten die Kinder die Erlaubnis, das Faceschild abzunehmen. Die Mutter ist sehr traurig darüber, dass ihr Sohn seine Erstkommunion auf diese Weise erleben musste. Das Kind leidet seit der Maskenpflicht auch an ausgeprägten Mundwinkeln. Eine Befreiung lehnen die Kinder jedoch kategorisch ab, um nicht aus der Reihe zu tanzen.
Auch zum Konzept der Gurgel-Schule weiß die Mutter Befremdliches zu berichten. Jene Kinder, die an den Tests teilnehmen, werden nämlich regelrecht gefeiert. Sie erhalten Nutellabrote als Belohnung. Es wird auf diese Weise versucht, die Kinder zur Teilnahme an den Testungen zu motivieren, da offenbar eine gewisse Anzahl an sogenannten Gurgelkindern erreicht werden muss. Der psychische Druck auf die Kinder ist also erneut enorm. Es wurde ihnen auch kommuniziert, dass sie zu Hause bleiben müssen, wenn die Schnupfen haben. Claudias Sohn kam in der Folge regelmäßig mit vielen zerknüllten Taschentüchern in der Schultasche nach Hause, weil er sich heimlich geschnäuzt hatte, um ja nicht aufzufallen. Vor dem Husten fürchten sich die Kinder ebenfalls und halten es zurück, solange sie das irgendwie ertragen. Die genannten Beispiele ließen sich in vielen Facetten und Trauerspielen fortführen.
Anders als unsere anderen Beiträge rund um die Corona-Thematik möchten wir mit diesem Artikel nicht mehr nur unaufgeregt die Gegenstimmen aufzeigen.Wir bitten darum, diesen Text als Appell aufzufassen. Wir bitten alle Politikerinnen und Politiker, Bildungsbeauftragte und andere Verantwortungsträger: prüfen Sie durch unabhängige Expertinnen und Experten aus dem Gesundheits- und Bildungswesen die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen für unsere Kinder, und reagieren Sie entsprechend!
* Namen von der Redaktion geändert.
quellen | konsultiert am 28.10.2020
WHO: Advice on the use of masks for children in the community in the context of COVID-19, Annex to the Advice on the use of masks in the context of COVID-19, 21. August 2020
www.derstandard.at/story/2000116976672/maskenpflicht-wenn-die-mimik-fuer-das-erkennen-fehlt
Die Nebenwirkungen und die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus SARS-CoV-2 an Schulen – ein Thesenpapier. Prof. Dr. Christof Kuhbandner, Lehrstuhl für Pädagogische Psychologie, Universität Regensburg, Version 1.1 vom 18. Oktober 2020.
Prof. Dr. med. Ines Kappstein, Leitung Klinikhygiene am Klinikum Passau: Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit: Keine Hinweise für eine Wirksamkeit, Thieme CME-Fortbildung, Krankenhaushygiene up2date 2020; 15: 279-297