Frühjahrskonzert: Reflexionen auf die Matthäus-Passion im Schlosscenter Waidhofen.
Bei den Frührskonzerten am 28. März würde die Passion mit dem im Schlosscenter aufgeführt. Teil der Besetzung waren das Waidhofner Kammerorchester, der a-capella-Chor Tulln, der Cantores Dei Allhartsberg und Dirigent Wolfgang Sobotka.

Simone Vierlinger, Manuela Leonhartsberger, Wolfgang Sobotka Fotos: Robert Voglhuber
Jesus ist wahrer Gott und wahrer Mensch
Am 21. März jährte sich J. S. Bachs Geburtstag zum 330. Mal. Ob sakral oder weltlich, er hat kompositorische Höchstleistungen geschaffen, indem er rückschauend Stile vergangener Epochen zusammengeführt und Neues vorweggenommen hat. Er schuf Barockmusik mit Esprit und Verve, nichts ist „verzopft“. Von Bach, dem Weltrangkomponisten und Orgelvirtuosen stammt „Air“, sein wohl bekanntestes Stück. Seine letzte Ruhestätte fand er in der Thomaskirche in Leipzig. Weltberühmt ist der Thomanerchor. Bachs “Matthäus-Passion” gehört zu den außergewöhnlichsten Schöpfungen der Musikgeschichte. Bei den WKO-Frühjahreskonzerten wurde Passion im Waidhofner Schlosscenter am 28. März 2015 mit großartiger Solistenbesetzung und dem Cantores Dei Allhartsberg, dem a-cappella-Chor Tulln und dem Waidhofner Kammerorchester aufgeführt. Über die konzertante Darbietung der Leidensgeschichte Jesu schwebt ein lateinisches Kreuz in Acryl auf Leinwand von Leopold Kogler. Unter „Passion“ versteht man im Christentum zuvorderst den Leidensweg Jesu Christi – sein Leiden und Sterben samt der Kreuzigung durch die Römer in Jerusalem. Die Berichte davon in den Evangelien werden als Passionsgeschichte bezeichnet.

Lateinisches Kreuz mit Leopold Kogler
Eine Passion der christlichen Sinnerkenntnis
Was aber Bachs Musik erzählt, geht darüber hinaus. Er geht in die tiefsten Seelenlamellen der Leidensperson Christi, leuchtet der Sinnerkenntnis in die Wurzeln und erhebt die Passion zum umfassendsten Glaubensbekenntnis aller Zeiten. So unterschiedlich wir alle sind, wir sind alle auf der Suche nach Gott. Auf verschiedenen Wegen sind wir auf der Suche nach seiner ursprünglichen Kraft oder wir spüren diese Kraft in uns. Was uns die Matthäuspassion sagt, ist, dass diese Kraft kein maßloses Hervorquellen aus dem Unterbewusstsein ist, diese Kraft, die für Jesus steht, ist für uns ein Zeichen für eine Realität in einem Zustand des Fühlens. Jesus ist für uns präsent, gerade zu Ostern. Jesus verquickt Abstraktes mit plastischem Element, das aber niemals rational sein kann, wo aber alle Fäden zusammenlaufen, auch wenn sie in kein empirisches Bezugssystem passen.
Passion schafft subtile Stimmung
Bachs Matthäuspassion ist nicht bloß Verlautbarung, sie ist Offenbarung und schafft subtile Stimmung, die nichts mit Weltflucht, Innerlichkeit, Askese oder irrationalem Rausch zu tun hat, sondern bringt das zum Ausdruck, das aus den präsprachlichen Zonen des Unbewussten oder Vorbewussten aufsteigt. Bachs Botschaft ist nicht begrifflicher Art, sie schwebt auf der Ebene des Affekts, der imaginativen Vorstellung. SolistInnen und Chor (Einstudierung: Anita Auer) bringen das wunderbar zum Ausdruck. So, dass uns auch bewusst wird, dass wir auch da sind, um Träume haben zu dürfen, Fantasien haben zu dürfen, bis in den Horizont hinaus. Jesus hat das Genie seiner freien und grenzenlosen Liebe in die Perspektive unserer Herzen projiziert, trotz unnachgiebiger Gebärde des Schicksals. Hier im Konzertsaal, hier bei Bachs Musik, sind wir im Tempel der Seligkeit. Alle, auch diejenigen, die nicht glauben, die keine religiös definierte Weltanschauung haben, deren Religion stark säkularisiert ist oder die meinen, Religion hätte sozialen Bedeutungsverlust, haben nicht begriffen, dass die Wirklichkeit doch ganz anders ist: So christlich wie heute waren wir noch nie in unserer Gesellschaft!
Im Heute wird das Evangelium mehr denn je gelebt
Das Evangelium wird doch in unserer heutigen Zeit mehr denn je gelebt. Die Ideale des Sozialstaats oder die Bewahrung der Schöpfung oder die Würde des Menschen, das sind doch durchgreifende Erfolge der Evangelien in der heutigen Welt. Die Matthäus-Passion will uns vermitteln: Jesus Christus ist wahrer Gott und wahrer Mensch. Umso mehr stellen die musikalische Vielfalt, die Mehrschichtigkeit des Textes und die unterschiedlichen Darstellungsebenen der Matthäus-Passion keine leichten Anforderungen an die Interpreten. Im Spannungsfeld der Ereignisse, im Bewegungsrhythmus und der Einkehr zur Ruhe und der geistigen Vertiefung der Meditation überzeugen die Vokalpartien der Solistinnen und Solisten Simone Vierlinger, Manuela Leonhartsberger, Lothar Odinius und Günther Groissböck. Dirigent Wolfgang Sobotka kann sie in den Arien und die Chöre in den dynamischen Kontrasten und der artikulatorischen Präzision gut auf Linie bringen. Sie alle tragen sein interpretatorisches Credo mit: Leidenschaft und große Menschlichkeit in der sinnlichen Komplexität.
von Robert Voglhuber