Fürst der Humanisten: Erasmus von Rotterdamm
von robert voglhuber
Sprachrohr. Erasmus von Rotterdam nahm sich kein Blatt vor den Mund. Mit viel Ironie und Sarkasmus kritisierte er alles, was ihm in die Quere kam. Kirchliche und weltliche Hierarchien waren am schärfsten seinen Angriffen ausgesetzt.

Erasmus-Denkmal in Rotterdam
Foto: Frank Versteegen
Weder der genaue Tag, noch das Jahr seiner Geburt sind eindeutig festgestellt. Einigen wir uns auf den 27. oder 28. Oktober vor 550 Jahren. Auf jeden Fall ist er Holländer, unehelich geboren, was damals einen Makel der Geburt bedeutete. Dieser Makel versperrte ihm eine weltliche, aber auch eine geistliche Laufbahn.
Untergetaucht hinter den Mauern eines Klosters, konnte man jedoch nach den Vorstellungen der Zeit den Makel tilgen. Aus seiner Klosterzeit sind viele Briefe erhalten, die er unermüdlich an Freunde und Bekannte in ganz Europa schrieb. Das waren Stilblüten. Seine Briefe wurden unter den Gebildeten in Polen so gut wie in Spanien vorgelesen und als Kostbarkeiten gehütet. Viele Denker haben später an ihm Maß genommen: Lessing, Goethe, Jean Paul. Man sah in ihm einen großen Europäer, den „europäischen Schriftsteller im modernen Sinne, der die europäische Idee der Bildung geschaffen hat.“ So eroberte sich das 20. Jahrhundert sowie das 21. „seinen“ Erasmus. Im klösterlichen Leben hatte er Zugang zu Bildungsgedanken. Später wurde er bischöflicher Sekretär, dann freier Schriftsteller.
Erasmus war der erste freie Schriftsteller
Er war der Erste, der die Freiheit der schriftstellerischen Existenz verwirklichte. Theologie studierte er in Paris, dann lebte er in England, wo er Zeitgenosse von Thomas Morus war. Bis zu seinem Tod lebte er in Basel. Stets war er ein scharfer Kritiker und redlicher Mahner. Er verhalf der Schulbildung auf den Weg zu neuer, lebensnaher und zeitgemäßer Gestaltung. Porträts von ihm schuf der damals größte Maler Hans Holbein. Unter allen Werken hat das „Lob der Torheit“ (1509) den dauerhaftesten Ruhm erworben. Die Torheit trieb ja im Mittelalter ihr launiges
Spiel.
Der Narr hält der Welt den Spiegel vor
Der Narr war Allerweltskerl und Sprachrohr für Kritik an den Übeln der Zeit. Ebenso hielt Sebastian Brant mit seinem gewichtigen „Narrenschiff“ (Stultivera navis) den Zeitgenossen einen Spiegel vor und wollte ihnen zeigen, dass der Mensch sich selbst verfehlt, wenn er seine Bildung versäumt, ihm zugleich aber auch bewusst machen, dass der Mensch nicht allein durch die Bildung zum Menschen wird. Beide Humanisten zeichneten ein Panorama menschlicher Unzulänglichkeit.
Was ist Humanismus?
Nach heutigem Verständnis werden die Begriffe Humanismus und Renaissance meist in einem Atemzug genannt. Beide Begriffe sind nicht schlicht deckungsgleich, aber das Grundanliegen ist identisch.
Der Humanismus setzte gewissermaßen die Idee der Renaissance bzw. die Ideen, welche die Renaissancekunst begründeten, bildungspolitisch um. Man vertrat die Überzeugung, dass über die Bildung der Mensch wirklich Mensch werden konnte. Was dem Renaissancemenschen eignete, ist, so könnte man es vielleicht auf den Punkt bringen, der Mut zum Wagnis, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Er ließ sich von nichts und niemandem einengen, von keinem System, von keinen Traditionen. Die Freiheit der Kunst und der Wissenschaft war ihm oberstes Gebot. Von daher ist es kein Zufall, dass in diese Zeit auch bedeutende Entdeckungen fallen. Die Entdeckung Amerikas und die Erfindung des Buchdrucks sind nur zwei Beispiele.
Geistige Autorität
Erasmus war oft auf Reisen und schon längst die geistige Autorität in Europa. Gerne unterhielt er sich mit dem schlichten Mann aus dem Volke über die Bibel. Oft kehrte er bei einem bestimmten Zöllner ein und unterhielt sich mit ihm über Gott und die Welt. Natürlich ärgerte sich Erasmus oft über barbarische Unbildung und banausische Bildungsfeindlichkeit und trotzdem kam er zum Schluss, dass sich Intellektualismus so gut wie Bildungsfeindschaft zuletzt nicht dem Banne der Lächerlichkeit zu entziehen vermögen. Nur die in der Weisheit des Sokrates „vollendete Torheit“ kann dem Anspruch der Bildung wie auch des Lebens gerecht werden.
Ulrich Zwingli hat Erasmus das Bürgerrecht von Zürich angeboten, das lehnte er dankend ab: „Danke für die liebenswürdige Gesinnung mir gegenüber, aber ich wünsche Weltbürger zu sein, allen zu gehören, oder besser noch Nichtbürger bei allen zu sein.“
Erasmus von Rotterdam, der Homo pro se, der Mensch eigener Art, stirbt am 11./12. Juli 1536. Sein Grab ist im Münster zu Basel.