Innere Einkehr
Der Jakobsweg führt nicht nur durch Frankreich und Spanien, sondern lädt auch auf österreichischen Wegen dazu ein, das einfache Leben kennenzulernen und die eigene Seele zu entdecken.
von daniela rittmannsberger

Das Gehen durch die Landschaft entspannt nicht nur, es sorgt für innere Einkehr und Reflexion.
Foto: Privat
Beinahe unentdeckt führt er durch ganz Österreich. Nur ein kleines Zeichen am Wegesrand sorgt dafür, dass die korrekte Richtung eingeschlagen wird: Die Zeichnung einer Muschel – die „Pilgermuschel“ – beschildert den Jakobsweg in Österreich, der immer beliebter wird. Dass einer der bekanntesten Pilgerwege der Welt auch durch Österreich führt, ist vielen Menschen unbekannt, kennt man doch meist nur das große Ziel aller Pilger, das spanische Santiago de Compostela. Doch auch in der Alpenrepublik lädt ein wunderschöner, meist etwas abseits gelegener Pfad zum Pilgern ein. In den Vordergrund rückte der Jakobsweg in Österreich erstmals durch die Publikationen von Peter Lindenthal Ende der neunziger Jahre. Der Tiroler Entwicklungshelfer stieß damals bei einem Urlaub in Frankreich auf einen Wegzeiger Richtung Santiago; sofort beschloss er, den Jakobsweg zu gehen. Seine Erlebnisse verarbeitete Lindenthal vor allem in einem bekannten Buch – und genau diese Erzählungen sorgten dafür, dass sich die Biberbacher Cäcilia und Karl Kammerhofer im Juli 2007 spontan aufmachten, um den österreichischen Jakobsweg zu gehen.
20 Kilometer am Tag
Im niederösterreichischen Wolfsthal nahe der Grenze zum Burgenland startet der Jakobsweg im östlichen Teil des Landes – Einstiegsmöglichkeiten und Routen durch Österreich gibt es einige. Mit dem Zug reiste das Ehepaar bei strömendem Regen nach Wolfsthal; beim Weggehen sei dann „kein Tropfen Wasser mehr vom Himmel gefallen“, erinnert sich Cäcilia. Vier Tage pilgerten sie über Wien nach Herzogenburg und schon während des Fußmarsches war ihnen klar, dass sie im nächsten Sommer weiter gehen werden. Wieder zu Hause erzählten sie Karls Schwester, der Ordensschwester Hildegund, davon und fragten sie, ob sie nicht mitgehen wolle. Die ehemalige Schuldirektorin zögerte nicht lange; gemeinsam starteten die drei Mostviertler ihre Reise im Sommer 2008 in Herzogenburg.
Durch Niederösterreich führte sie der Pilgerweg auf verschlungenen Pfaden durch den Dunkelsteiner Wald, sorgte für einen wunderschönen Ausblick vom Hengstberg auf die Wachau und ließ die drei Biberbacher im Mostviertel durch ihre Heimat pilgern. Bis nach Linz wanderten sie in diesem einen Jahr – am Tag standen durchschnittlich 20 Kilometer Fußmarsch auf dem Programm. Etwas, das anfangs ungewohnt ist und manchmal zu Problemen mit den Füßen führen kann: „Wir hatten schon Anfangsschwierigkeiten mit dem Gehen, man ist es einfach nicht gewohnt. Aber mit der Zeit funktionierte es“, erzählt das Ehepaar.
Viele Begegnungen
Ein Abenteuer auf dem Jakobsweg war vor allem die Suche nach einem Quartier, denn zu dieser Zeit wussten viele noch nicht, dass der Jakobsweg tatsächlich an ihnen vorbeiführte, dementsprechend oft gab es kein Zimmer für Pilger. Meist waren es Gasthäuser, die den Pilgern Unterschlupf gewährten. Und in dem Moment, als sie schon dachten, sie müssen auf der Kirchenbank oder woanders notdürftig ihr Lager aufschlagen, fand sich meist doch jemand, der ihnen weiterhalf oder die drei Biberbacher aufnahm. „Man trifft so viele Menschen und kommt mit ihnen ins Reden. Es hilft einem jeder und jeder ist freundlich – das ist einfach schön“, schwärmt Cilli. Und auf diese Hilfe ist man als Pilger auf dem Jakobsweg auch angewiesen, denn beim Anziehen der Wanderschuhe am Morgen weiß man noch nicht, wo man am Abend schläft.
Es zählen am Weg nur mehr die wesentlichen Dinge – wo und wie man schläft, ob man seine Wäsche waschen kann und wo es etwas zu essen gibt. Neben den Wanderschuhen hatte jeder der drei Biberbacher einen Rucksack mit dabei, in dem sich neben Kleidung, Medikamenten und einer Wasserflasche auch fünf Würfel fanden: Nach dem Abendessen saßen die drei beisammen, würfelten eine Runde und ließen den Tag Revue passieren: „Man sieht einfach so viel. Es ist Abenteuer pur.“
Einfaches Leben
Das Pilgern am Jakobsweg entschleunigt – vielleicht ein Grund dafür, dass das Gehen auf dem Weg, den es schon seit dem Mittelalter gibt, immer mehr an Bedeutung gewinnt. Denn das Wandern auf den Pilgerwegen ist viel mehr als das: „Mich führte das Pilgern an den tiefsten Winkel meiner Seele. Es ist Beten für Leib und Seele“, sagt Schwester Hildegund über ihre Erfahrungen am Jakobsweg. Wenn der Alltag beiseitegeschoben und Schritt für Schritt durch die Natur gewandert wird, sorgt das langsam für Entspannung, innerliche Einkehr und das Auseinandersetzen mit der eigenen Person.
Für die Biberbacher Pilger folgte im Jahr darauf die nächste Etappe auf dem österreichischen Jakobsweg. Von Linz ausgehend wanderten sie entlang der Traun, wo sie einmal sogar von einem Pfarrer bekocht wurden. Über Salzburg gingen Cilli, Karl und Hildegund nach Tirol, wo sie einen Schlusspunkt für dieses Jahr setzten und 2010 dann die letzten Tage durch Tirol und Vorarlberg wanderten. Im Westen des Landes übernachteten sie immer wieder in Klöstern – die Kirchen am Weg besuchten sie meist im Vorbeigehen. Der Jakobsweg vereint religiöse mit spirituell denkenden Menschen, denn vor allem die Einkehr in der eigenen Seele und das einfache Leben stehen im Vordergrund.
Viele Wege zum Ziel
Erwähnt wurde der Jakobsweg bereits im Jahr 1047 das erste Mal, denn schon damals pilgerten Menschen zum Grab des Apostels Jakobus in Santiago. Zwischen 1970 und 1980 wurde der Jakobsweg vor allem in Spanien wiederbelebt und 1993 in das UNESCO-Welterbe aufgenommen. In Österreich sorgt der 2008 gegründete Verein „Jakobswege Österreich“ für eine bessere Vernetzung der einzelnen Teilstrecken. Denn gestartet werden kann nicht nur in Wolfsthal in Niederösterreich: Der steirische Jakobsweg etwa führt von Graz über Slowenien und Kärnten nach Tirol, wo der Pilgerweg dann zusammenläuft.
Cäcilia, Karl und Hildegund hatten am Ende ihrer Pilgerreise durch Österreich schon längst ihre Liebe zum Jakobsweg entdeckt: In den darauffolgenden Jahren gingen sie jedes Jahr ein Stück weiter, bis sie 2015 endlich an ihrem Ziel ankamen: Santiago de Compostela in Spanien. „Wenn man erst mal durch Österreich geht, besteht die große Gefahr, dass man einfach nicht mehr aufhören kann!“, lacht Karl.
Die Entspannung beim langsamen Gehen, die Ruhe, die einkehrt und die Abenteuer, die am Jakobsweg warten, sorgen bei Pilgern meist für eine grundlegende Erkenntnis: Der Weg selbst ist das Ziel.