22.07.2013 0 Kommentare

Morgendämmerung: Das momag-Interview mit dem internationalen Reggae-Headliner “Gentleman”.

Foto: joseph bailey

„New Day Dawn“ heißt das bereits sechste Studioalbum des internationalen Reggae-Headliners Gentleman, der vor 20 Jahren erstmals einen Fuß auf jamaikanischen Boden gesetzt hat und seit einigen Jahren den Reggae in all seinen Facetten live rund um den halben Globus schickt. Das momag traf den 38-jährigen Kölner in Wien zum Gespräch.

Wann war dir klar, dass du Musik professionell machen willst?

Musik war immer ganz wichtig für mich und hat mir gut getan. Ich hatte aber nie den Plan, Reggae-Sänger zu werden. Ich hatte durch „Freundeskreis“ ein Sprungbrett, bin viel getourt und habe parallel eine eigene Band aufgebaut. 1998 habe ich mit „Four Music“ ein Plattenlabel gefunden, die mit mir längerfristig arbeiten wollten. Das war so der Zeitpunkt, ab dem ich ausschließlich Musik machen wollte.

Jetzt ist dein sechstes Studioalbum erschienen, das erste ohne Gast-Künstler. Wolltest du niemanden dabei haben?

Das war keine bewusste Entscheidung. Früher hatte ich meistens bei fertigen Songs das Gefühl, ein bestimmter Sänger oder eine Sängerin kann dem noch eine andere Klangfarbe geben. Das hatte ich diesmal nicht. Ich fand die Songs sehr rund so wie sie waren und mochte auch den Gedanken, mal ein reines Gentleman-Album zu machen. Das erste ohne Features.

Du hast ein eigenes Recording-Studio. Verbringst du dort viel Zeit?

Im Moment nicht. Ich sitze ja auch gerade hier mit dir. (lachen) Aber für „New Day Dawn“ habe ich mich mit meinen beiden Produzenten, meinen Kumpels, mit denen ich auch „It No Pretty“ damals gemacht habe und Giuseppe Coppola, dem Schlagzeuger meiner Band, ins Studio eingeschlossen. Wir haben die Musik in rund einem halben Jahr fertig gemacht. Es war für mich auch etwas komplett anderes, alles bei mir im Haus zu haben und nachts aufstehen zu können, um Ideen, die ich hatte, gleich umzusetzen. Das ist ein Vorteil. Der Nachteil ist, dass man irgendwann einmal nicht mehr den nötigen Abstand zu allem hat. Aber für das Projekt habe ich auch in anderen Studios gearbeitet, auch in Jamaika.

Du bist ja oft in Jamaika, was verbindet dich mit dem Land?

Wenn man das erklären könnte, dann hätte es gar nicht diese Mystik. Es ist ein Land, mit dem ich ganz viele Erfahrungen und Erinnerungen verbinde. Ich bin jetzt 38 und war das erste Mal dort mit 18. Ich habe dort Freunde und Familie, fühle mich dort sehr wohl und zuhause. Es ist aber auch ein Land der krassen Gegensätze. Es gibt sehr viel Gewalt und Armut und gleichzeitig so viel Liebe und Kreativität, Spirit. Musik hat dort einen ganz anderen Stellenwert als hier. Es ist auch ein wunderschönes Land. Ich mag die Berge und das Meer.

Die Leute dort sind auch weniger gestresst, oder?

Es ist ein anderer Stress. Jeder Mensch hat irgendwo Stress. Jeder hat seine Herausforderungen, sein „New Day Dawn“. Es gibt natürlich krasse Mentalitätsunterschiede, auch Unterschiede was die Vibes angeht. Gerade in Jamaika, wo die Menschen wenig zu verlieren haben, ist der Moment viel mehr da. Dort leben die Leute viel mehr im Jetzt, was das Leben ja auch ausmacht. Wir hier mit unserem Sicherheitsdenken, mit tausend Versicherungen und immer an die Zukunft denken, oder in der Vergangenheit verharren – das hindert uns auch ein wenig am Leben. Wir schreddern immer so ein bisschen daran vorbei. Dabei ertappe ich mich selbst immer wieder, dass ich irgendwie ganz woanders bin und nicht im Jetzt. Das ist, was in Jamaika zu so einer Intensität führt.

Wovon lässt du dich zu deinen Songs inspirieren?

Das kann ein gutes Gespräch sein. Ein Buch, eine Reise. Es geht darum, offen zu sein, neugierig und hungrig. Ich bin glücklich, mit der Musik einen Weg gefunden zu haben, mich auszudrücken. Musik kann politisch sein, ein Politiker tut sich aber schwer beim Musikalisch sein. (lachen) Es tut gut, Gedanken und Gefühle zu manifestieren und mit Leuten zu teilen. Wenn ich eine Textzeile höre, die meine Gedanken widerspiegelt, habe ich das Gefühl „Ich bin nicht allein.“ Das ist die Kraft, die Musik auch ausmacht.

Wie wichtig ist dir die Message in deinen Songs?

Nicht jeder Song muss eine Message haben. Musik kann auch Entertainment sein, einfach nur zum Tanzen. Musik ist einfach das, was direkt in die Birne geht, was sehr momentan ist und deshalb auch immer meditativ. Aber es ist schön, wenn es auch noch Aussagekraft hat, wenn es eine Message gibt. Wenn mir Leute zuhören, will ich einfach keinen Bullshit schreiben, sondern Dinge, die vielleicht im Idealfall bewegen, Gedanken reflektieren. Ich sehe mich auch immer wieder als Zeitzeuge, der wie ein Schwamm die Sachen aufsaugt und durch Musik mit anderen teilt.

Für dein neues Album hast du den Konzertflügel für dich entdeckt.

Es war ja nicht so, dass ich einen Konzertflügel haben wollte. (lachen) Er war ein Teil von meinem Studio, das ich aufgebaut habe. Dass ein Pianist in meinem Studio die Möglichkeit hat, auf einem „guten Piano“ zu spielen. Ja, und dann hatte ich das Ding im Wohnzimmer stehen und habe natürlich auch selbst rumgeklimpert und auf einmal hat es „geflowed“ und im Gegensatz zur Gitarre hab ich darauf auch Fortschritte gemacht. (lachen) Ich bin natürlich kein guter Pianist, werde ich auch nicht, aber ich kann schon Melodien, die ich im Kopf habe, auf dem Piano umsetzen. Ich habe dadurch viel Inspiration für Songs bekommen. Ideen kamen wirklich oft vom Piano bei diesem Album.

Die Gitarre magst du nicht so sehr?

Doch! Ich liebe Gitarre und wünschte, ich könnte auf diesem Instrument spielen. Ich hab’s irgendwie mit den Griffen. Meine Finger fassen immer mehr Saiten an, als ich das will. (lachen) Aber ich habe noch nicht aufgegeben. Vielleicht wird es ja irgendwann noch was.

Im Dezember feierst du dein 20-jähriges Bühnenjubiläum mit Band. Ist eine Tour geplant?

Wir touren jetzt. Das Album ist fertig und die Festivals stehen an, bis September. Es gibt eine große Tour im Oktober, November, Dezember. Im Dezember gibt es zwei Jubiläumskonzerte, beim ersten spielen wir Songs aus den ersten zehn Jahren und beim zweiten aus den zweiten zehn Jahren.

Außerdem gibt es eine Kino-Doku über dich.

In dem Film geht‘s nicht um mich, sondern um Grenzüberschreitung. Was Menschen tun, warum sie bestimmte Dinge tun. Der Film soll seit sieben Jahren veröffentlicht werden, ich habe ihn selbst noch nicht gesehen. Seit sieben Jahren drehen die Jungs daran und der größte Teil des Films ist in Jamaika entstanden. Es gibt drei Protagonisten. Terry Lynn, eine Sängerin aus Kingston, die im Ghetto groß geworden ist und dort lebt und Elektro-Tekno gemacht hat. Damit wird sie auch in Europa immer erfolgreicher. In Jamaika wird sie immer so ein wenig als Paradiesvogel gesehen. Und dann sind da noch Alborosie und ich. Der Italiener und der Deutsche, die auch nach Jamaika gegangen sind und da Musik gemacht haben. Dadurch, dass uns das Filmteam irgendwann einmal ans Herz gewachsen ist und wir die Kamera vergessen haben, gibt es in dem Film sehr tiefe, persönliche Einblicke. Es waren sehr gute Gespräche, die wir geführt haben. Der Film zeigt viel von Jamaika, auch in einer Art und Weise, wie es das vorher noch nicht gab.

Wie ich gehört habe, lebst du sehr gesund.

Mittlerweile ja. Ich war Fastfood-Junkie, aber seit rund drei Jahren achte ich sehr auf meine Ernährung und lasse jetzt auch meinem Magen immer fünf Stunden Zeit. Ich weiß nicht, früher war mir das alles egal. Ich merke das auch auf Tour: wenn ich mich nicht gut ernähre und keinen Sport mache, komme ich schnell aus der Puste. (lachen)

Interview: Petra Ortner

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Rubrik:: Aktuelle Themen

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