Murer – Anatomie eines Prozesses
Der Verein Filmzuckerl zeigt „Murer – Anatomie eines Prozesses“ in Kooperation mit dem Kulturverein Frikulum am Dienstag, 09. Oktober 2018, um 20.00 Uhr im Rahmen eines Filmzuckerl-Auswärtsspiels im Bertholdsaal Weyer.

Foto: Ricardo Vaz Palma Prisma Film
Zum Film
Graz 1963: Der angesehene Lokalpolitiker und Großbauer Franz Murer steht wegen schwerer Kriegsverbrechen vor Gericht. Die Beweislage ist erdrückend. Doch in den Zentren der Macht will man die dunklen Kapitel der eigenen Geschichte endgültig abschließen. Anhand der originalen Gerichtsprotokolle eines der wohl größten Justizskandale der Zweiten Republik zeichnet Regisseur Christian Frosch den Fall des angesehenen steirischen Politikers und Großbauern Franz Murer nach, der von 1941 bis 1943 als „Schlächter von Vilnius“ einer der Hauptverantwortlichen für die Vernichtung der Juden in der heutigen litauischen Hauptstadt war. Franz Murer wurde erst 1963 auf die juristische Intervention von Simon Wiesenthal hin in Österreich vor Gericht gestellt. Überlebende der Shoah reisten an, um auszusagen und Gerechtigkeit zu erwirken – vergebens. Trotz der erdrückenden Beweislage endete der Prozess mit einem Freispruch.
„Murer – Anatomie eines Prozesses“ erzählt diese Verhandlung mit 73 Sprechrollen in dichten Passagen und der stets intensive Nähe erzeugenden Kamera von Frank Amann nach. In Hintergrundsequenzen und Parallelsträngen im Umfeld des Prozesses kombiniert der Film die Agitatoren – TäterInnen, Opfer, Zusehende – zu einem erschütternden postnazistischen Zeitbild, in dem – frei nach Hannah Arendt – Tatsachen so behandelt werden, als handle es sich um vernachlässigbare Meinungen. Erschreckend, wie gegenwärtig all dies erscheint.
Regisseur Christian Frosch versteht „Murer – Anatomie eines Prozesses“ nicht als historisierenden, sondern als politischen Film, bei dem es darum ging, das brisante Material so authentisch wie möglich „zum Sprechen“ zu bringen. „Österreich hat keine Seele und keinen Charakter. Österreich besteht aus Tätern, Zuschauern und Opfern“, zieht Regisseur Frosch ein düsteres Resümee aus der Arbeit an seinem Spielfilm. „Mich interessierte beim Murer-Kriegsverbrecherprozess weniger, zum wiederholten Male die Verbrechen des NS-Regimes nachzuerzählen, sondern genau hinzusehen und zu verstehen, wie sich die vom Wesen her grundsätzlich verschiedenen Gruppen (Täter, Opfer und Zusehende) in der Republik Österreich darstell(t)en. Das Spannende ist, dass man hier sehen kann, wie das österreichische Nationalnarrativ funktioniert(e). Es basiert keineswegs auf Verdrängung. Es wurde bewusst gelogen, verschleiert, verbogen und gesteuert. Nur so konnte man Täter zu Opfern machen und die Opfer zu den eigentlich Schuldigen erklären. Diesem Prozess lag kein seelischer Defekt zugrunde, sondern Kalkül. Wir müssen uns endgültig von der Vorstellung verabschieden, dass der Patient Österreich nur die Fakten in sein Bewusstsein integrieren muss, um den Heilungsprozess einzuleiten. Die Tatsachen waren und sind bekannt.“
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