Öffentliche Sicherheit und Ordnung

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[von michie könig]
Polizei. Immer häufigere Protestaktionen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 stellen Exekutivbeamtinnen und -beamte vor für Österreich eher ungewöhnliche Herausforderungen.
Die aktuellen Entwicklungen rufen in vielen Menschen Sorgen hervor, die verschiedenste Facetten annehmen. Manche fürchten sich vor einer Ansteckung mit dem Virus, vor schwerer Krankheit, vor dem Tod. Andere wiederum haben existenzielle Ängste, da ihr Job aufgrund der Lockdowns, der 2G-Regel oder der Impfung wackelt, weitere sehen ihre Rechte und die Demokratie unter Beschuss.
Jeder spürt ihn: diesen Druck, der von vielen Seiten entsteht. Der Umgang damit ist nichts, das wir von Kind auf gelernt hätten – seit einer gefühlten Ewigkeit gab es in unserem Land keine ähnliche Ausnahmesituation, oder etwas Vergleichbares von so langer Dauer. Es steht also jede Person zusätzlich zu den gesellschaftlichen Problemen vor einem persönlichen Dilemma, besonders dann, wenn das Umfeld die eigene Einstellung nicht gutheißt bis hin zu nicht toleriert. Manchmal ist so eine Person dann als Teilnehmerin auf einer Demo, einem Spaziergang, einer Mahnwache. Oder sie ist auch dort anwesend – aber beruflich: als Polizistin.
Begegnung der Energien
Obwohl es – gottlob! – nicht die Regel ist, liegen dem momag Erfahrungsberichte vor, welche bei Betroffenen Ohnmachtsgefühle hervorrufen. Aufgrund der eingangs erwähnten Umstände wurde sämtlichen Gesprächspartnerinnen und -partnern Anonymität zugesichert; die Namen sind der Redaktion bekannt.
Mitte Dezember nahm ein etwas über 60-jähriger Mostviertler in Wien an der Demonstration der Ärzte und Pfleger teil. Auf dem Rückweg machte er in St.Pölten Halt, um sich von der Demo beim Landhaus einen Eindruck zu verschaffen. Bevor er den Ort dieser Veranstaltung erreichte, nahm er in mehreren Metern Entfernung an einem Outdoor-Tisch Platz, um sich eine Zigarette zu drehen. Hier wurde er von einem Polizeibeamten darauf angesprochen, dass er eine Maske tragen müsse, woraufhin er erwiderte, dass er erst eine Zigarette rauchen wollte und später zu den Leuten stoßen würde. Der vorgeschriebene Abstand war jedenfalls gegeben. Doch der Ordnungshüter bestand auf die Maske. Die Situation wurde von Demo-Teilnehmern bemerkt, es wurde zu filmen, applaudieren und zu rufen begonnen. Daraufhin kamen mehrere Polizisten an den Tisch, zogen den Mann in die Höhe, drehten seine Hände auf den Rücken und drückten ihn einige Meter entfernt fest gegen eine Wand, wo ihm Handschellen angelegt wurden. Während er abgeführt wurde, bat er wiederholt darum, die Handschellen etwas zu lockern, da er starke Schmerzen verspürte. Verbale Entgleisungen seitens der Beamten fanden statt, und man beförderte den Mann in ein Fahrzeug.
Die Schmerzen an den Händen ließen den Mann bei jeder Kurve oder Unebenheit aufschreien, doch in dem gepanzerten Wagen hörte ihn niemand. Am Polizeiposten stellte ein Beamter erschrocken fest: „Die haben Ihnen die Schellen ja verkehrt angelegt!“
Im Anschluss an das Erlebte hat der 60-Jährige eine Beschwerde eingereicht und die Antwort erhalten, der Sachverhalt werde polizeiintern untersucht. Auch beim Landesverwaltungsgericht zeigte er das Erlebte an, woraufhin er einen Anruf erhielt, dass er – sollte er verlieren – mit Kosten im vierstelligen Bereich rechnen müsse. Als er sich in einem offenen Brief, in dem er seine Erlebnisse schilderte, an die Polizei wandte, interpretierte dies ein bekannter Polizist als Angriff auf den gesamten Berufsstand und behandelte ihn im persönlichen Kontakt sehr würdelos. Der Mann versuchte mit einem zweiten offenen Brief seine wahre Intention zu untermauern.
Ordnungs- und andere Widrigkeiten
So klein und dünn sie in ihren Abmessungen sein mögen, ein zentrales Thema sind auf Demo-Veranstaltungen die Masken. Aktuell herrscht auch im Außenbereich, wenn ein Abstand von zwei Metern nicht eingehalten werden kann, Maskenpflicht, die immer wieder zu Eskalationen führt. Für viele Demo-Teilnehmer ist das Tragen einer FFP2-Maske das Sinnbild schlechthin für Unterwerfung und die starke Autorität, die aktuell vorherrscht. Dies ist die eine Seite. Polizeibeamte sind jedoch beruflich dafür verantwortlich dafür zu sorgen, dass Gesetze und Verordnungen eingehalten werden.
Ein Mostviertler, der regelmäßig an Demos teilnimmt und auch bei den Vorfällen in St.Peter anwesend war, erzählt: „Ich gebe zu, dass auch ich emotional sehr aufgeladen war, als diese Frau in das Auto gebracht worden ist. Aber ich konnte mich zurückhalten. Schwierig wird es, wenn man das nicht schafft“, weiß er aus Erfahrung. „Leider ist das aber passiert. Bei diesem Vorfall sind offenbar auch Einsatzfahrzeuge beschädigt worden. So etwas ist absolut nicht okay.“ Entstanden war die Unruhe erneut aufgrund der Maskentragepflicht. Da sich viele Menschen nicht daran hielten, folgte eine Amtshandlung auf die nächste. Einmal wurde dem Demozug auch der Weg versperrt. Die Stimmung kippte, es wurde teils laut gegen die Polizei gewettert. „Als dann eine 42-Jährige, die sich nicht ausweisen konnte, von den Beamten grob angefasst und verhaftet wurde, begann es ungut zu werden. Die Leute sammelten sich um das Auto, in dem sich die Frau befand, und hinderten es am Wegfahren“, berichtet ein weiterer Mostviertler, der dabei war. „Als das Polizeiauto schon am Wegfahren war, wurde ich von einem Polizeibeamten grob zur Seite gestoßen. Im Affekt stieß ich mit beiden Händen und körperlichem Einsatz zurück. Die Polizisten fielen sofort über mich her, um auch mich zu verhaften. Ich fühlte mich unschuldig, und habe mich gewehrt! Mir persönlich tut es wirklich leid, dass es soweit kam. Aber für eine Eskalation braucht es immer zwei Seiten. Ich gestehe ein, dass gewisse Wortmeldungen und Sprüche aus den Reihen der Demonstrierenden nicht fallen hätten sollen. Aber auch die Beamten haben ihren Teil dazu beigetragen. Ich denke, mit Einsicht und wenn alle es wollen, dann funktioniert so etwas auch friedlich. Der Spaziergang, der eine Woche später stattgefunden hat, ist der beste Beweis dafür“, freut sich der junge Mann.
„Bezeichnend ist, dass in den Medien immer nur die Demoteilnehmer für eine Eskalation verantwortlich gemacht werden. Dass ich wegen einer Rippenprellung nach zwei Wochen immer noch einen Brustgurt trage und wegen des umgebogenen Handgelenks Schmerztabletten einnehmen muss, ist aber ein Teil dieser Geschichte, der auch erwähnt werden muss“, findet er.
„Eigenartig war auch diese Projektion am Schloss St.Peter, die überall in den Zeitungsberichten zu sehen war. Da stand »1945 KZ-Aufseher, 1990 Mauerschützen, 2021 Polizisten«. Perfekt geeignet, uns ins rechte Lager zu rücken. Aber niemand der Teilnehmenden hat diese Projektion gesehen oder weiß etwas darüber.“ Handelte es sich etwa um eine Fotomontage?
In „Meine Gemeinde exklusiv Teil 1 – Bürgermeister – KRISENFEST“, einem Konferenzmitschnitt vom NÖ Gemeindebund, der auf dessen YouTube-Konto nachgesehen werden kann, kommt Roland Scherscher vom Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung zu Wort, der davon spricht, dass sich im Zusammenhang mit der Corona-Krise viel Extremismus entwickelt hat. Er gibt an, dass per 18.1.2022 insgesamt 49 Versammlungen in 22 niederösterreichischen Gemeinden zum Thema Corona stattgefunden hatten: „Das ist für niederösterreichische Verhältnisse sehr viel.“ Gemäß seinen Angaben ist es vor allem für junge Kollegen sehr schwierig, da sie „beflegelt, beschimpft, bespuckt, beschüttet“ würden. Eine Situation, die „vor zwei Jahren nicht vorstellbar“ war. Scherscher führt überdies aus, dass „die radikale und gewaltbereite Unterwanderung seitens der Versammlungsanmelder toleriert wird.“ Eine Angabe, die unsere Gesprächspartner jedoch nicht bestätigen können: „Leute, die sich nicht im Griff haben, gibt es bei jeder größeren Menschenansammlung, auch etwa bei Fußballspielen. Wir rufen stets zu Friedlichkeit und freundlichem Umgang auf“, erklärt ein Mostviertler, der bereits wiederholt eine Demo angemeldet hat. „Wir arbeiten an Lösungen. Unser starkes Zeichen gegen die Maßnahmen wollen wir aber nicht einstellen.“
Bei einem weiteren dieser Treffen in einer Mostviertler Gemeinde waren knapp 100 Menschen gekommen. Als ein offenes Mikrofon angeboten wurde, forderte die Polizei Verstärkung an und verkündete mit Megaphon, dass die Versammlung aufgelöst werde, und dass Maskenpflicht herrsche. Ein Mostviertler Bürger deutete ihm, dass man nichts verstehe, weil zur gleichen Zeit auch durch das Mikrofon gesprochen wurde. Daraufhin ging der Polizist auf den Mann zu, um ihn auf die Maskenpflicht hinzuweisen. Dieser ist von der Tragepflicht befreit, seine Daten sollten dennoch aufgenommen werden. Zwei Beamte nahmen ihn links und rechts, um ihn zu ihrem Fahrzeug zu bringen, er sperrte sich anfangs und rief: „Hilfe, Polizei!“ Ein „Ich verstehe Sie nicht“ wurde seitens der Polizisten als Provokation gedeutet. Aufgrund dieser Geschehnisse sollte er wegen „Widerstand gegen die Staatsgewalt“ belangt werden. Der Mann zeigte sich schließlich kooperativ und stieg in den Wagen, wo eine Art versöhnliches Gespräch mit dem Polizeibeamten stattfand.
„Wissen Sie, ich muss dauernd nach Linz, nach Steyr, nach Amstetten fahren. Ich habe die Nase voll. Ich habe auch Familie“, teilte der Polizist dem Demo-Teilnehmer mit. Zum Abschluss reichten sich die beiden die Hand, die Spannung fiel ab und es herrschte dann friedliche Kommunikation zwischen Polizisten und Demo-Teilnehmern.
Solche Gespräche finden sehr oft auf Augenhöhe statt. Man versucht, Verständnis füreinander aufzubringen und spricht offen über die Dinge. Auf einer anderen dieser Veranstaltungen gewährte ein Polizeibeamter Einblick aus seiner Perspektive: „Schauen Sie, hier wird immer gefilmt, und diese Videos landen alle im Netz. Dann stehen wir als Polizei herum, niemand trägt eine Maske, und wir greifen nicht ein? Überlegen Sie selbst“, bat er um Reflexion seitens der Demo-Teilnehmerin.
Auf den Mahnwachen, die jeden Samstag in Amstetten (14 Uhr) und am Sonntag in Pöchlarn (15 Uhr) stattfinden, sind ebenfalls immer Polizisten vor Ort. Auf diesen Veranstaltungen wird vorwiegend gemeinsam gesungen. Andacht und Ruhe herrschen vor. „Sie sind die Alternative für jene, die ebenfalls Gesicht zeigen möchten, sich aber aufgrund familiärer oder beruflicher Verpflichtungen nicht viel Zeit nehmen können“, weiß der Veranstalter. „Es herrscht eine nette Energie.“ Einige der Teilnehmenden berichten von sehr angenehmem und wertschätzendem Kontakt mit der Polizei – vorausgesetzt, die Masken sitzen. Eine weitere Gesprächspartnerin gesteht ein, auf einer Demo selbst bereits Fehler im Umgang mit der Polizei begangen zu haben. Auch sie ist aufgrund der Maskenbefreiung in einen Konflikt mit Polizistinnen geraten. Aufgrund hochgekochter Emotionen rutschte ihr ein „Schleicht’s euch!“ heraus, und sie wurde wegen Beamtenbeleidigung belangt: „Ich weiß natürlich, dass das von mir nicht in Ordnung war.“
Eine gewisse emotionale Befindlichkeit der demonstrierenden Bevölkerung können sämtliche Gesprächspartner trotz allem nachvollziehen: „Wenn sich jemand seit zwei Jahren im privaten oder beruflichen Alltag diskriminiert fühlt, ständig die Tests organisieren muss, vielleicht sogar den Job verloren hat, kann ich eine gewisse Gefühlslage schon verstehen“, erzählt uns einer unserer Ansprechpartner. „Trotzdem heiße ich es überhaupt nicht gut, wenn jemand überreagiert, denn das hilft der Sache auch nicht.“ In diesem Punkt sind alle Interviewpartner einer Meinung.